Gedicht über einen Scharlatan, 1754

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Gedicht über einen Scharlatan, 1754

Im 18. Jahrhundert mit seinen zahlreichen wissenschaftlichen Entdeckungen war es für das Publikum nicht immer leicht, den Unterschied zwischen neuen Erkenntnissen und den Lügen von Scharlatanen zu erkennen. Um so wichtiger war es für weite Kreise der Gesellschaft, 'up-to-date' zu sein, über die neuesten Erkenntnisse informiert zu sein. Daraus zogen Darsteller ihren Profit, die in ihren Vorstellungen physikalische Experimente zeigten. Die Ehrbaren unter ihnen präsentierten eine frühe Form von 'Edutainment', also unterhaltsamer Wissensvermittlung. Die weniger Ehrbaren halfen gelegentlich mit Tricks nach, um Phänomene zu präsentieren, die es so gar nicht gab.
Und einer trieb das Spiel auf die Spitze, indem er zwar das Eintrittsgeld kassierte, aber dann gar nicht erschien.


Das folgende Gedicht von Christian Fürchtegott Gellert greift dieses Ereignis auf und prangert die Leichtgläubigkeit mancher Zeitgenossen an.
Ich habe es zufällig gefunden in dem Gedichtband 'Als der Großvater die Großmutter nahm - Ein Liederbuch für altmodische Leute.' von 1895.

Hans Nord.

Ein Mann, der sich auf vielerlei verstund,
That durch den Druck in London kund,
Daß er ein seltnes Kunststück wüßte,
Und lud auf sein erbaut Gerüste
Den Künft´gen Tag die Bürger ein,
Ließ einen engen Krug und sich in Kupfer stechen.
In diesen Krug, war sein Versprechen,
Kriech´ ich, Hans Nord, mit Kopf und Bein
Um zehn Uhr durch den Hals hinein;
Der Preis für einen Platz soll nur acht Groschen sein.

Nun ging das Blatt durch alle Gassen.
In einen Krug? Was? Rast der Mann?
Das soll er mir wohl bleiben lassen!
Mit einem Wort, es geht nicht an,
Der dümmste Kopf muß das verstehen;
Allein acht Groschen wag´ ich dran.
Komm, Bruder, komm, den Narren muß ich sehen!
Kurz, einer riß den andern fort.

Dem Pöbel folgten schon Karossen um die Wette,
Sowie der Kaufmann und der Lord
Als Freunde der Physik bewiesen, daß Hans Nord,
Unmöglich Raum in einem Kruge hätte.
Gesetzt auch, wandte Lady ein,
Gesetzt, dies könnte möglich sein,
So wird doch stets der Kluge fragen:
Wie kömmt der Narr denn durch den Hals hinein? -

Doch unser Kutscher schläft ganz ein.
Fahrt zu, Johann! Itzt wird es neune schlagen!

Halb London saß nunmehr an dem bestimmtenm Ort
Und sah den Krug erstaunt auf dem Theater stehen.
Wird nicht das Werk bald vor sich gehen?
Man wartet, pocht und lärmt. Indessen schlich Hans Nord
Sich heimlich mit dem Gelde fort.
Wer war nunmehr der größte Thor zu nennen?
Nord? Oder eine halbe Stadt,
Die sich, von Neugier blind, auf sein phantastisch Blatt
Vor seine Bühne drängen können?


Du lachst. Doch weißt du auch, daß du durch grobe List
So leicht, wohl leichter noch, zu hintergehen bist?
Was braucht wohl ein Hans Nord, versehn zum Bücherschmieren,
Was braucht er, um dich zu verführen?
Ein wunderbares Titelblatt,
Das den Betrug schon bei sich hat:
Er will die ganze Welt durch Goldtinktur kuriren,
Durch einen Schluß dich klug und glücklich demonstrieren,
Sein gründlich Wörterbuch erspart dir das Studiren,
Er lehrt´ ohn Umgang dich die Kunst, zu conversiren,
Er lehrt dich ohne Müh sinnreich poetisieren,
Dich ohne Kosten Wirthschaft führen.

Und glücklich läßt du dich das Wunderbare rühren,
Erstaunst und eilst und Kauffst und liest,
Was denn? - Daß du betrogen bist.

Gellert. 1754.